Zur Eröffnung von stücke halten,
Halle der Platform, München.

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(…) das Schöne am Garten ja ist, dass er sich nicht vollständig kontrollieren lässt und unseren Gestaltungswillen immer wieder durch sein Eigenbegehren herausfordert. Das ist auch beim Schreiben so, genauso wie beim Umgang mit jedem anderen Material. Die Welt gestaltet immer mit.

Über diese Metapher des Gartens ist stücke halten in meiner Wahrnehmung selbst zu einem Garten geworden in dem die unterschiedlichsten Gewächse und Gemische sich sowohl ausbreiten als auch ausgebreitet werden und in dem sich für mich nach und nach eine innere Logik des Spiels, des Seins, der Ordnung und der Zufälligkeit entfaltet hat.

Foucault nennt den Garten die älteste Heterotopie überhaupt, also einen Ort, der weder ganz bestimmbarer Ort ist, weder reiner topos, noch reine Utopie, sondern der etwas dazwischen verkörpert, etwas Geheimnisvolles, sich Entziehendes. Insofern sind Ausstellungsräume eigentlich immer auch Heterotopien, wenn nicht sogar Gärten….

Die Ausstellung, trägt diese Ambivalenz zwischen Bestimmbarkeit und Ungreifbarkeit ja sogar im Titel: Vom Halten und Verflüchtigen.
Die beiden Künstlerinnen gestalten und beseelen diesen utopisch-verorteten Ausstellungsgarten in einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Halten, der Haltbarkeit, des Festhaltens, des Fixierens einerseits und dem, was sich all dem verweigert, was sich nicht fassen lässt, was von vorneherein unberechenbar und ephemer gedacht ist. Den Zauber macht dabei vor allem aus, dass die Sphäre des Unberechenbaren, des Brüchigen, des Unbeständigen und Flüchtigen in die Arbeiten beider Künstlerinnen wie hineingewoben scheint und sie damit beide ein Feld öffnen, in dem der Bertrachter selbst in diese Oszillation eintreten kann.

Die mir sehr sympathische Philosophin und Journalistin Astrid Nettling schreibt in einem ihrer Beiträge über den Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty und seinen Begriff der Wahrnehmung: „Dass unser Sehen, unser Hören, unser leibliches Fühlen überhaupt Wahres ‚nehmen‘ kann, lässt sich nur erfahren, wenn wir bereit sind, es uns von den Farben, den Tönen, dem Fühlbaren ‚geben‘ zu lassen. Anders gesagt: Wirkliches Wahr-nehmen ist nur möglich, wenn wir uns auf den ureigenen Spielraum der Dinge einlassen, für den wir durch unseren Leib und unsere Sinne von Natur aus offen und aufgeschlossen sind.“ 

Hier scheint mir, bekommen wir einen Schlüssel an die Hand: Unsere Art und Weise des Wahrnehmens wird also dadurch bestimmt, inwiefern wir bereit sind, uns die Dinge, Stücke, Phänomene der Welt in ihrer Leibhaftigkeit wirklich geben zu lassen.
Dabei ist es unser eigener Körper, der diese Leibhaftigkeit mit der Welt ermöglicht, ansonsten wären die Dinge nämlich bloße Objekte. Es ist unser Leib, der den Subjekt-Objekt Dualismus durchbrechen kann, weil er, so Merleau Ponty „zwischen reinem Subjekt und Objekt eine dritte Seinsweise“ bildet.

Das Subjekt als Leib ist als diese dritte Seinsweise von der objektiven Welt nicht mehr getrennt, sondern kommuniziert mit ihr in einem Erfahrungssystem, in dem „die Erfahrung der Welt, die Erfahrung des Leibes und die Erfahrung des Bewusstseins“ eine Einheit bildet.

Das gilt für die Rezeption von Kunst genauso, wie für den künstlerischen Prozess.

Und hier ist die Brücke zur Ausstellung:
Mit dieser Voraussetzung (des Leibs als Seinsweise zwischen Subjekt und Objekt) kann der Versuchung der Photographie widerstanden werden, das Ephemere nur einzufangen und festzuhalten und zu kontrollieren, mit dieser Voraussetzung kann der Versuchung der quasi demiurgischen Materialbeherrschung widerstanden werden und es kann ein Welt-Leib-Seele- Dialog enstehen, der etwas sehr anderes ist als der reine Monologs eines Subjekts, das die Welt stets fürchtet.

Ich sehe hier in beiden künstlerischen Ansätzen eine Lust, mit diesen Versuchungen (von Kontrolle und Beherrschung) und deren Brechung umzugehen.
In Claudia Hinschs Arbeiten geht es für mich (diesbezüglich) um Kontrolle-verlernen, Kontrolle abgeben und, wie sie sagt, darum, „diese ans Material zu übergeben, an das Eigenleben des Materials“. Das verlangt eine Wachheit für das, was die Dinge von sich selbst her wollen und einen Spürsinn für diesen subtilen Dialog im künstlerischen Prozess.
Es geht sozusagen immer um die Stimmigkeit des Gestaltungsprozessen, egal erstmal, von welcher Seite der Impuls kommt. Weil eben wie gesagt das Leben und die Dinge auch immer selbst etwas wollen, und sich die Welt eben immer auch selbst miterfindet: dies zulassen. Die Enthemmtheit des Materials selbst zulassen.
„Geordnete Zufälligkeit“ nennt Hinsch ihre Anordnungen, die für jeden Raum neu entstehen und die wesentlich mit dem Aufeinandertreffen zunächst scheinbar unvereinbarer oder scheinbar unpassender Elemente oder Materialien spielen.

„Der Mensch steht der Welt nicht gegenüber, sondern ist Teil des Lebens, in dem die Strukturen, der Sinn, das Sichtbarwerden aller Dinge gründen.“ sagt Merleau-Ponty und diese grundsätzliche Haltung blitzt für mich immer wieder auf in Hinschs Arbeiten.

Bei der Recherche bin ich im Freitag „wie“ zufällig auf eine Rezension des neuen Buchs der Schriftstellerin Dorothee Elmiger gestossen (Aus der Zuckerfabrik), die darin an Merleau-Ponty erinnert und in diesem Zusammenhang vom Ort ihrer eigenen Sehnsucht spricht, der, so der Rezensent Michael Wolf, einer sei, „an dem die Dinge und Menschen zu ihrer Eigentlichkeit kämen, an dem sie endlich so sein könnten, wie sie sind. Die Utopie bestünde bei ihr darin, die Dinge nicht als Körper, als schon definierten Körper zu sehen, sondern als das, was sinnlich sein kann, ohne vorher einen Sinn zu ergeben, ohne schon immer einer Funktion zugeführt zu sein.“ Hier sehe ich eine große Nähe zu den Arbeiten von CH, denn obwohl Elmiger Schriftstellerin ist, hört sich für mich ihre Herangehensweise sehr nahe an. Elmiger nennt ihre „scheinbar disparaten Miniaturen „Gestrüpp“, das sie wuchern lässt und das zu begradigen sie sich verweigert.“ Und schreibt den herrlichen Satz, den ich hier den Arbeiten von Claudia Hinsch widme:
„Die Dinge, die ich beschreibe, mir nicht zu nehmen, sie nicht haben zu wollen, und sie nicht zu schmälern, so eindeutig zu bestimmen, sondern sie im Gegenteil noch freier und unabhängiger zu machen, als sie es waren, bevor ich zum ersten Mal ein Auge auf sie warf.“
Immer gibt es also diese Befreiung des Daseins, des Materials dadurch, dass man ihm seine Verflüchtigungsmöglichkeiten zugesteht.
Immer gibt es weitere Ebenen des Staunens und der Überraschung, die die Möglichkeit der Kontrolle jedesmal aufs Neue spielerisch zunichte machen.

M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung
M. Serres: Die fünf Sinne
Annie Ernaux: Scham
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik
Astrid Nettling: Rezension von Michael Wolf